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Zurück im alten Kiez

Chansons. Melancholische Bilder einsamer Menschen und Swing-Jazz als Klangteppich gab’s bei Claudia Zimmer und Nightline Blue.

Pfrondorf. Im leuchtend roten Kleid singt, zum sanft schwebenden Piano, Claudia Zimmer von „jemand, der mich sanft verführt, das wäre wunderschön“. Immer wieder sucht die Sängerin Bilder in den Worten, da kommen dann auch mal Kalendersprüche in den Pausen zwischen zwei Liedern. Zum Beispiel: „Die meisten Fehler machen wir ja, wenn wir fühlen, wo wir denken sollen.“ Und dann Zimmer zu trägem Bass und luftigen Klavier, von Vollmondnächten am Rhein – und dem Zusammenspiel von Instrumenten und Stimme gelingt es tatsächlich, sich wehmütig an diesen Ort zu denken.

„Stille und andere Nächte – oder ein Dichter kommt selten allein“ hieß das Programm im Pfrondorfer Musikzentrum am Samstagabend. Veranstaltet wurde es vom Verein Netz e. V. aus Pfrondorf. Schauspielerin, Sängerin, Lyrikerin Zimmer wurde begleitet von Hans-Peter Ertle am Piano und Wolfgang Heinzelmann am Kontrabass. Die beiden Musiker stimmten dann auch mit einem Swing die etwa 50 Zuschauer auf einen Abend mit Texten ein, die von schweren Herzen, vergangener und wiedergefundener Liebe bis zum Heinz Erhardt’schen Wortgedrechsel reichten. Insgesamt arbeitet die Sängerin viel mit Vergangenheit, mit dem Zurückgelassenen, dem Heimweh, der Erinnerung. In Kästners „Kleine Führung durch die Jugend“ erzählt sie von einem Besuch in der alten Heimat, der alten Schule, und wie sie in der Straßenbahn fährt „und der Schaffner die alten Stationen“ aufruft, und „man dachte, die Vergangenheit sei tot, doch sie blieb hier wohnen“. Kokett zog sie dann die Rüschenhandschuhe über, ganz Femme fatale, ganz Audrey Hepburn mit Sonnenbrille, sang „C’est si bon“ von Yves Montand und stolzierte dabei über die Bühne. Ganz in der Nostalgie verhaftet auch der Hildegard-Knef-Klassiker „In dieser Stadt“. Da erzählt sie, zu grummeligem Bass und verhaltenem Piano, wie sie ihren alten Kiez besucht. Und sich am Ende dann doch am Bahnsteig wiederfindet und froh ist, wieder wegzukommen. Auch das ist ein Kennzeichen von Zimmers Programm: Manchmal ist das Vergangene nur schön auf Distanz, unter dem Brennglas entfaltet es seinen Schmerz.
Und immer wieder ist die Stadt das Thema. „Stadt in der Nacht, Nacht in der Stadt“ singt sie, und die Musik
kommt müde, zerbrochen daher, die Stimme klingt vage, berichtet von Kneipen, leeren, unbeleuchteten Straßen und beendet das Lied mit einem resignierten: „Wir fanden uns nicht mehr“. Bei ihr löscht die Nacht das Licht.

Auch Unnötiges, Unverständliches findet immer wieder eine Lücke. So, wenn Zimmer in einem Text Frank Wedekind zitiert mit „Ich habe meine Tante geschlachtet (...) ich stieß ihr den Dolch in die Gedärme“. Und dann wieder rezitiert sie, expressiv, mit Hingabe, Nikolaus Lenaus „Winternacht“ mit „Vor Kälte ist die Luft erstarrt, es kracht der Schnee von meinen Tritten“. Wunderbar die improvisierten Intermezzi der beiden Musiker, die auch bei den Songs für einen unaufdringlichen, stets präsenten Groove sorgten. Vom Publikum gab es reichlich Beifall. Bkn

Werner Bauknecht im Schwäbischen Tagblatt 19. Februar 2019