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Eine andere Sicht auf das Komikergenie

Bühnen | Bühnen Claudia Zimmer und Herwig Rutt überzeugen in Härings Kulturcafe mit einem Heinz-Erhardt-Programm. Sie folgen dabei locker seinem Lebens- und Karriereweg.

Herwig Rutt und Claudia Zimmer in Härings Kulturcafe
Herwig Rutt und Claudia Zimmer widmeten sich in Härings Kulturcafe dem Komiker Heinz Erhardt. Foto: Frank Czilwa, mit freundlicher Genehmigung

Schwennmingen. Nein, Claudia Zimmer ist offensichtlich nicht Heinz Erhardt - und das ist auch gut so. Denn so gelingt der Sängerin und ihrem kongenialen Pianisten Herwig Rutt eine andere Sicht auf den nach wie vor beliebten Komiker, Schauspieler, Poeten und Musiker (1909 bis 1979) als es eine bloße „Best of-Rezitation hätte bieten können. Mit ihrem Programm „Ich bin nicht Heinz Erhardt" waren Claudia Zimmer und Herwig Rutt am Freitag vor einem rund 40-köpfigem Publikum zu Gast in „Härings Kulturcafe".

Claudia Zimmer folgt in ihrem Programm dem Lebensweg Heinz Erhardts. Angefangen mit dessen Geburt im paradoxerweise viereckigen Kreißsaal, mit Erhardts autobiografischen Worten, die sie dann immer wieder mit Liedern - nicht alle von Heinz Erhardt - und Gedichten kommentiert. So wissen vielleicht die Wenigsten, dass das Komiker-
Genie als Sohn deutsch-baltischer Eltern in Riga im damaligen russischen Zarenreich geboren und aufgewachsen ist. Und zwar unter recht verwickelten Verwandtschaftsverhältnissen, waren doch sowohl sein Vater als auch seine Mutter je drei Mal verheiratet, was Claudia Zimmer mit einer deutschen Bearbeitung des alten amerikanischen Novelty Songs „I'm my own Grandpa" kommentiert, in dem sie durch diverse Heiraten innerhalb der Verwandtschaft unversehens zu ihrer eigenen Großmutter wird.

Zunächst Kaffeehaus-Pianist
Das Programm folgt locker Erhardts Lebens- und Karriereweg über die Begegnung mit seiner späteren Frau Gilda Zanetti und seine Zeit in Riga, als er sich als Kaffeehaus-Pianist über Wasser hielt, und dann später im Kabarett der Komiker („KaDeKo") im Berlin der Nazi-Zeit, ohne allzu sehr ins Detail zu gehen, so dass sich eine locker unterhaltsame Nummernrevue entfaltet.

Auch Herwig Rutt ist nicht Heinz Erhardt - dazu ist er allein schon zu groß und hat zu viele Haare -, aber wenn er im grauen Anzug und mit Brille Erhardt-Gedichte rezitiert, dann hat er die typischen linkisch-schelmischen Mikro-Gesten des Komikers perfekt drauf.

Mit seiner Gesangspartnerin liefert er sich immer wieder kleine Kabbeleien - etwa wenn sie einander mit den Erhardt-Gedichten über „Die Sängerin" („Öffnet zögernd dann den Mund. Erst oval. Allmählich rund") und den „Tastenhengst" necken.

Natürlich dürfen auch Erhardtsche Aphorismen und Lebensweisheiten nicht fehlen wie: „Pessimisten sind Leute, die mit der Sonnenbrille in die Zukunft schauen" oder „Solange es Haare gibt, liegen sich die Menschen in denselben" und natürlich: „Wer beim Schwimmen untergeht, ist noch lange nicht Taucher."

Im zweiten Teil wird die Revue dann auch zunehmend nachdenklicher, denn auch die Selbstzweifel des Dichters bleiben nicht unerwähnt „O wär' ich der Kästner Erich! Auch wär' ich gern Christian Morgenstern! Und hätte ich nur einen Satz Vom Ringelnatz! Doch nichts davon! (...) Drum bleib' ich, wenn es mir auch schwer ward, nur Heinz Erhardt."

Nachdenkliches im zweiten Teil
1971, acht Jahre vor seinem Tod, erlitt Erhardt einen Schlaganfall, der ihn seines wichtigsten Arbeitsinstruments, der Sprache, beraubte.

Aber selbst über „Freund Hein" - den Tod, der am 5. Juni 1979 endgültig an seine Tür im Hamburg-Wellingsbüttel anklopfte - weiß er schelmisch melancholische Gedichte zu machen.

Frank Czilwa (Abdruck mit freundlicher Genehmigung). Erschienen in der Neckarquelle / Südwestpresse am 27.11.2017